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Emotionale Kommunikation in Changeprozessen

Warum das Herz gewinnt: Emotionen erfüllen grundlegende biologische Funktionen, sie leiten unsere Wahrnehmung, unser Handeln, unsere Entscheidungen. Sie sind Signalgeber und Motivatoren, können uns begeistern und uns binden.

Emotionen sind von Anbeginn der Menschheit in uns angelegt und haben sich weit weniger verändert als unser Denken, unsere rationale Bewertung von Situationen und darauf aufbauend rationale Entscheidungen. Es ist wichtig, diese lenkende und für die Beurteilung von Situationen sowie unser Handeln entscheidende Größe viel stärker in die Begleitung und Kommunikation von Veränderungsprozessen einzubeziehen, als dies bisher geschieht.

Nur so kann es gelingen, Menschen für Veränderungen zu gewinnen und sie für den Prozess und die erfolgreiche Durchführung zu aktivieren. 

2 Veränderungs- und oder Changemanagement

2.1 Veränderung – notwendiges Übel oder neue Perspektive und Chance?

Nach rationalen Gesichtspunkten ist eine Veränderung eine neue Gestaltung oder andersartige Handlung aufgrund von zusätzlichen oder neuartigen Erkenntnissen. Es ist schon bezeichnend, dass Veränderungen für uns so selbstverständlich sind, dass auf Wikipedia zum Beispiel keine Definition von Veränderung zu finden ist. Es sei denn, die angefügte Erklärung aus Wikipedia sollte als Definition sinnvoll sein: „Damit beschreibt der Begriff ‚Veränderung‘ den Ablauf oder Verlauf einer stofflichen oder nicht-stofflichen Umwandlung, also eines Wechselprozesses innerhalb einer gewissen Zeitspanne.“

Offensichtlich entsteht Veränderung aus einem im Menschen angelegten Bedürfnis nach Weiterentwicklung. Ohne die Motivationstheorien im Einzelnen aufzuführen, scheint es so zu sein, dass es intrinsische Motivationsfaktoren gibt, die uns nach neuem Wissen streben oder nach neuen Erfahrungen und Herausforderungen verlangen lassen. Warum eigentlich? Die Antwort erscheint ebenso selbstverständlich wie fast schon banal: Weil es uns dann gut oder sogar besser geht und weil wir das Gefühl haben, nicht zu stagnieren und voranzukommen.

Veränderungen scheinen also einerseits etwas damit zu tun zu haben, wie wir uns danach fühlen. Auslöser von Veränderungen sind auf der anderen Seite neben den „natürlichen Wachstumsgedanken“ häufig ungute Gefühle wie Unsicherheit und Besorgnis. Schließlich passt der Ausdruck, dass Veränderungen meist unter Leidensdruck passieren, auf viele Ausgangspunkte von Veränderungen. Sind Sie schon einmal morgens auf die Idee gekommen, die Zahnbürste einfach in die andere Hand zu nehmen, die Uhr an das andere Handgelenk anzulegen oder Gewohnheiten, die uns Sicherheit geben, zu ändern? Von den Einzelbeispielen abgesehen, verändern wir uns häufig dann, wenn wir mit einem Zustand nicht zufrieden sind, eine Verbesserungsmöglichkeit sehen oder uns etwas unangenehm ist. Veränderungen sind also emotional. Und Emotionen – das ist oft für uns fühlbar – sind oft negativ und positiv belegt. Veränderungen sind ein Paradebeispiel für gegensätzliche Gefühlsregungen. Einerseits gibt es das gute Gefühl der Weiterentwicklung, andererseits das negative Gefühl der Unsicherheit.

Veränderungen kosten also neben der Inspiration und der Begeisterung, die sie auslösen, auch Kraft. Sie passieren nicht von selbst; wir müssen an der Angst entlang unsere Komfortzone verlassen, aus dem wohligen Kokon der Sicherheit und des Gewohnten heraustreten. Und das meistens ohne zu wissen, was wie das Neue aussehen wird.

Je nach Persönlichkeitstyp und Situation fällt dies leichter oder schwerer. Für den einen ist die Fahrt mit dem Auto zu einem unbekannten Ziel auf einer nicht bekannten Strecke eine große Herausforderung. Für den anderen ist es etwas ganz alltägliches. Für die eine ist das Antreten der neuen Stelle mit großer Freude verbunden, für die ist das Arbeiten in einer anderen Umgebung – sei es ein neuer Arbeitgeber oder auch nur ein neuer Arbeitsort – nahezu unvorstellbar und mit großen Ängsten und Ungewissheit verbunden.

Unabhängig davon, wie man es sieht, Veränderungen sprechen unsere tiefsten Urmotionen an. Sie kosten auch Kraft und Energie, sind mit persönlichen Investitionen verbunden, erfordern Auseinandersetzung mit neuen Gegebenheiten oder Rückschlägen, die auf neuen Wegen eintreten können.

2.2 Schneller, höher, weiter?

Kaum ein Thema beschäftigt uns in Unternehmen so viel wie die Gestaltung und Umsetzung von Veränderungen. Angefangen bei Umstrukturierungen über die Veränderungen von Arbeitsweisen, bis hin zum Einsatz immer neuer technischer Hilfsmittel, sind sie für die meisten Unternehmen zu lebenserhaltenden Maßnahmen geworden. Die Einflussfaktoren von außen (oftmals auch Megatrends genannt) wie Globalisierung, demografische Entwicklung, Automatisierung, Digitalisierung oder Technisierung steigern auf der einen Seite die Komplexität und auf der anderen Seite die Dynamik (=Veränderungsgeschwindigkeit).

Vielleicht gibt es unter der Leserschaft ja noch jemanden, der sich noch an das Wählscheibentelefon erinnert, das über viele Jahre hinweg nahezu unverändert im Einsatz war. Es waren nur neue Farbgebungen, die hier für Veränderungen sorgten. Diese geringen Veränderungen erfolgten in zeitlich versetzten Schritten.

Und heute? Veränderungen vollziehen sich in einer Geschwindigkeit, die es dem Einzelnen schwer machen zu folgen. Ein neues Modell folgt dem anderen. Die Entwicklung des Telefons zeigt auch, in welchem Ausmaß die Komplexität nahezu explodiert ist. Angefangen beim Speichern von Rufnummern, über den Anrufbeantworter ist das reine Telefon nun dabei, ganz aus unserem Leben zu verschwinden und die Funktion des Telefonierens wird nun von vollkommen neu konfigurierten Geräte übernommen, die noch eine Vielzahl anderer Funktionen wahrnehmen.

Dieses Beispiel macht deutlich in welchem Ausmaß sich Veränderungsgeschwindigkeiten und Komplexität in den letzten Jahren gesteigert haben.

Dies gilt auch für Unternehmen. Während früher Innovationszyklen offensichtlich mehrere Jahrzehnte dauerten, kommen heute jedes Jahr neue Modelle auf den Markt. Wird eine Entwicklung verpasst, wie von Siemens die Entwicklung des Klapphandys, dann ist das Bestehen am Markt gefährdet – oder vermisst noch jemand Siemens-Handys?

Kurzum: Unternehmen stehen vor der permanenten Herausforderung, mit gleichzeitig zunehmender Komplexität und Dynamik mitzuhalten, um ihr Bestehen am Markt zu sichern. Andernfalls besteht das Risiko, dass das Unternehmen vom Markt verschwindet. Auf diese Weise reiht sich Entwicklungsschritt an Entwicklungsschritt, Veränderungsprojekt an Veränderungsprojekt.

2.3 Keine Veränderung ohne motivierte Beschäftigte

Ohne die Beschäftigten werden Veränderungsprozesse nicht getragen, kann es keine Veränderung im Unternehmen geben. Sie sind die tragende Säule im Veränderungsprozess und damit kommen ihre individuellen Gefühle, Einstellungen, Situationen und Befindlichkeiten in‘s Spiel.

Es gibt sie definitiv, die Beschäftigten, die Freude an Veränderungen haben. Diejenigen, die es begrüßen, wenn es etwas Neues gibt. Diejenigen, die gewohnt sind, dass sich die Welt immer wieder verändert und die auch ein Verlangen danach haben, dass dies so ist. Bei diesen Beschäftigten sind Veränderungen positiv emotional besetzt. Es gibt aber auch diejenigen, die sich mit Veränderungen schwertun. Die, die lieber in Stabilität und Routine ihre Arbeit erledigen, statt sich jeden Tag neu über andere Ansprechpartner, Organisationsstrukturen, Abläufe oder technische Lösungen Gedanken zu machen. Diejenigen, die Veränderungen nicht als für sich herausfordernd sehen und den Sinn hinter Neuerungen nicht entdecken.

Es ist unzweifelhaft – wie oben dargelegt – dass Veränderungen und das Schritthalten mit den technischen Entwicklungen ein Erfolgsfaktor für ein Unternehmen darstellen. Dies auch deshalb, weil die Ersetzbarkeit von Unternehmen zugenommen hat. Gibt es kein Siemens-Handy mehr, dann gibt es eben Apple. Es lohnt sich aber trotzdem, bei allem Verständnis für die derzeitigen Herausforderungen, ein paar Jahrzehnte zurückzuschauen. In dieser Zeit wurde eine nicht unerhebliche Zahl der heutigen Beschäftigten (zumindest in Traditionsunternehmen) für die Mitarbeit rekrutiert. Fragt man die erfahrenen Beschäftigten, was ihnen damals, als sie ins Unternehmen eintraten, versprochen worden ist, dann kommen häufig Sprüche wie „Hier kannst Du in Rente gehen“, „Da hast Du Standortsicherheit“, „Soziale Absicherung ist gegeben“, „Du musst Dich nicht tot arbeiten“, „Da hast Du viel Konstanz“, usw. Die Menschen, denen diese Dinge wichtig waren, sind dann Beschäftigte dieser Unternehmen geworden. Optimales Matching – für damalige Zeiten.

Heute benötigen die Unternehmen Menschen, die Veränderungen lieben, die Neuem gegenüber offen sind, die, kurz gesagt, ein flexibles Arbeitsleben der damals versprochenen Stabilität vorziehen. Es ist wohl verständlich, warum Veränderungen in einem solchen Kontext emotional negativ behaftet sind.

In diesem Kontext können die Auswirkungen von Veränderungen gravierend sein. Viele Beschäftigte werden krank – der Anstieg der psychologischen Erkrankungen ist ein Indiz dafür. Sie verändern ihre Einstellung und verabschieden sich mental aus ihren Unternehmen, wehren die Veränderungen ab, wandern ab (manchmal extern, manchmal durch innerliche Kündigung), schrauben ihre Leistungen nach unten oder verlieren ihre Belastbarkeit.

Diesen Umstand beschreibt auch ein Auszug des Gallup Engagement Index 2016, der 2017 veröffentlicht wurde.

  • 70 % der deutschen Arbeitnehmer fühlen sich emotional nur gering an ihren Arbeitgeber gebunden und machen lediglich Dienst nach Vorschrift.
  • 15 % haben sogar schon innerlich gekündigt.
  • Die mangelnde Motivation der Beschäftigten hemmt die Produktivität von Unternehmen

Damit führen die Veränderungen, die durch Komplexitätszunahme und gestiegene Dynamik gekennzeichnet sind, zu vielen Nebenwirkungen.

Fehlende Indentifikation und sinkende Motivation nivellieren die durch die Veränderung unter Umständen erreichten Unternehmensziele wieder. Es entsteht ein neuer Bedarf an Motivation – nicht zur Leistung, sondern zum hundertprozentigen Commitment gegenüber Veränderungen.

Selbstverständlich muss an dieser Stelle in Betracht gezogen werden, dass es Unternehmen gibt, in denen diese Herausforderung nicht besteht. Je schneller und je mehr Veränderungen, umso mehr investieren die Beschäftigten in die Bewältigung der Herausforderungen. Zum einen kann dies – und darauf werden wir im weiteren Verlauf eingehen – mit der emotionalen Verbundenheit zum Unternehmen zusammenhängen. Der Organisation gelingt es, die Beschäftigten emotional an sich zu binden, sie zu begeistern und durch positive Emotionen zu motivieren. Zum anderen kann es sein, dass die Unternehmen noch nicht so lange am Markt agieren, wie dies beispielsweise bei den Traditionsunternehmen der Fall ist. Damit waren die Einstellungsvoraussetzungen für die nun vorhandene Belegschaft anders.

Die Beschäftigten sind mit anderen „Versprechungen“ ins Unternehmen gekommen, als dies bei den Erfahrungsträgerinnen und -trägern in Traditionsunternehmen der Fall gewesen ist. Veränderung und Flexibilität gehören heute zum Versprechen, so wie dies früher Geborgenheit und Sicherheit war. Vielfach entsteht eher ein Ablehnungsgefühl, wenn man jungen Leuten ankündigt, 40 Jahre die gleiche Tätigkeit auszuüben.

Damit ist das Matching bezogen auf die Gegenwart optimal. Wie sich dies bei Unternehmenskrisen oder im Zeitablauf darstellen wird, kann nur vermutet werden und bleibt abzuwarten. Insgesamt spricht vieles dafür, dass es entscheidend darauf ankommen wird, auch in Zukunft die Beschäftigten emotional an das Unternehmen zu binden – vielleicht mehr denn je.

2.4 Veränderungen am Arbeitsmarkt – von der Generation Y und Z und der demografischen Entwicklung

Bezogen auf die Herausforderungen von Unternehmen, Veränderungen zu managen und die Einbeziehung der Beschäftigten zu gewährleisten, erscheint es gerade für Führung und Personalmanagement von Bedeutung, einen Blick auf die gegenwärtigen Marktbedingungen und auf die zukünftigen Entwicklungen am Arbeitsmarkt zu werfen.

Seit vielen Jahren prognostizieren viele Experten den Fachkräftemangel in vielen Bereichen der Wirtschaft und Verwaltung. Nun also ist es in vielen Teilen so weit: Der Bedarf an Fach- und Führungskräften kann nicht mehr gedeckt werden. Eine steigende Anzahl offener, gemeldeter Stellen und die Berichte von vielen Unternehmen und Verwaltungen zeigen, dass der Mangel an qualifiziertem Personal Realität geworden und im Zeitablauf erheblich angestiegen ist.

Praxisberichte aus Unternehmen machen deutlich, dass ehemals als wichtig angesehene Aspekte eines Arbeitsverhältnisses als nicht mehr bedeutend eingeschätzt werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wechseln aus der sicheren, öffentlichen Verwaltung, geben den Beamtenstatus ab, um woanders anzufangen. Große Arbeitgeber werden zugunsten kleiner überschaubarer Einheiten verlassen und vereinbarte Ausbildungsverhältnisse werden aufgrund besserer Angebote nicht angetreten.

Wir können uns darauf einstellen, dass diese Entwicklungen in Zukunft eine Konstante auf dem Arbeitsmarkt sein werden. Während wir vor Jahren mühsam den Beschäftigten die Kostenorientierung vermittelt und darauf hingewiesen haben, immer zu fragen, was es kostet und was es bringt, haben sich unter veränderten Rahmenbedingungen diese Fragen verändert in „Was kostet es mich und was bringt es mir?“. Neue Entscheidungsparameter beeinflussen das Verhalten. Außerdem ist eine Generation in den Arbeitsmarkt eingetreten, die an anhaltende Veränderung und fehlende Konstanz gewöhnt ist und für die diese Umstände kein Problem darstellen. Für die Generationen Y und Z ist dies ein Teil der Lebenswirklichkeit. Stabilität à la Babyboomer ist keine Erfahrung des Lebens. Vor diesem Hintergrund haben sich die Wertesysteme der Akteure erheblich verändert. 

So lässt sich die Generation Z wie folgt charakterisieren:

  • digitale Medien sind Lebenswelt (nicht Arbeitsmittel),
  • Informationsmanager,
  • kein Autoritätsverständnis,
  • versuchen, Glück zu maximieren,
  • wollen nicht bevormundet oder eingeschränkt werden,
  • bleiben dabei, solange es spannend ist,
  • „flatterhaft“ im Sinne von unabhängig,
  • gehen Kurzzeitbeziehungen ein (abgesehen von Familie und engstem Freundeskreis),
  • mainstreamorientiert (aktuelle Shell Jugendstudie),
  • sind auf sich selbst fokussiert.

Insofern stellt sich die Frage, was eigentlich zukünftig die Verbundenheit der veränderungsgewohnten Generationen zu Unternehmen ausmacht. Dies dürften zum einen die in Bezug auf die jeweils aktuelle Lebenssituation optimalen Rahmenbedingungen sein. Zum anderen hängt die Verbundenheit davon ab, ob befriedigende Antworten gefunden werden auf Fragen wie: „Fühle ich mich emotional der Organisation verbunden?“, „Stehe ich hinter den Produkten und der Unternehmensphilosophie?“ oder „Kann ich mich adäquat einbringen?“

Mit diesen zusätzlichen Aspekten soll aufgezeigt werden, dass auch an diesem Punkt die emotionale Verbindung zwischen Unternehmen und Beschäftigten wichtig und entscheidend ist.

Zukünftig werden die emotionale Ansprache und Bindung von Mitarbeitern mit die wichtigsten Faktoren sein, sei es bei der Bewältigung von dringend nötigen Veränderungsprozessen oder bei der Rekrutierung oder Erhaltung einer motivierten und engagierten Mitarbeitermannschaft.

Wie Sie es drehen und wenden: Emotionen lösen die „harten Fakten“ ab, und es lohnt sich, sich näher mit ihnen zu beschäftigen, um sie zu verstehen und deuten zu können.

3. Emotionen verstehen – Ein Einblick

Um Emotionen annäherungsweise verstehen zu können ist der Blick in den eigenen Gefühlshaushalt ein erster Ansatzpunkt. Oft können wir deuten, was uns bewegt, können unsere Gefühle einordnen oder anhand unserer Reaktionen erkennen, welches Gefühl uns gerade leitet. Weinen wir, sind wir vielleicht traurig, es gibt aber auch Tränen des Glücks. Sind wir aufgewühlt, kann es daran liegen, dass wir wütend sind oder aber auch enttäuscht oder ganz im Gegenteil freudig erregt. Und hier fängt die Undurchschaubarkeit an, denn Gefühle sind in den seltensten Fällen isolierte Druckpunkte. Es sind ambivalente Komplexe, die oft nicht rein positiv oder rein negativ sind. Hinzu kommt, dass sie sich wandeln können. Zum Beispiel kann Trauer in Lachen umschlagen oder aus Wut wird Freude. Dennoch zeigen sie uns oder unserem Gegenüber etwas an. Die Einordnung kann aber – wie eben dargestellt – auch problematisch werden, wenn das Zeichen nicht eindeutig ist. Weint jemand nun vor Freude oder aus Trauer? Dazu hilft es, sich die Situation anzuschauen, in der derjenige oder wir uns selbst befinden. Diese gibt dann möglicherweise den Rückschluss auf das zu deutende Gefühl.

Unzweifelhaft ist, dass Gefühle unser Handeln bestimmen und das sogar meist unbewusst. Jeder von uns kennt die Situation, wenn uns der Bauch geleitet hat, wenn wir Dinge, die wir tun, „aus dem Bauch heraus“ tun. Wir treffen zum Beispiel eine Entscheidung und können im Nachgang nicht mehr rational erklären, was uns dazu bewogen hat. Die Entscheidung zum Kauf eines 200 000 EUR teuren Sportwagens ist sicherlich eine fast rein emotionale – kann doch ein Sportwagen rational betrachtet auch nur vier Räder, Bremsen und ähnliche Funktionen aufweisen wie ein ganz normales Auto. Die Differenz von ca. 150 000 EUR geht sicherlich auf das Konto der puren Emotion. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass sogar 90 % aller Entscheidungen aus dem Bauch heraus – also emotional, intuitiv und unbewusst – getroffen werden.

Sollen Entscheidungen oder Handlungen also mit Botschaften beeinflusst werden, macht es wenig Sinn, die rationale Ebene im Menschen zu adressieren.

Wie aber lassen sich gezielt Emotionen im Menschen ansteuern? Hier hilft zunächst einmal die Erkenntnis, dass Emotionen situativ (s. o.) und auch moralisch geprägt sind. Was für den einen angesichts seiner Situation, seiner Prägung, seiner Einstellung, seiner Moral eine emotionale Katastrophe darstellt, ist für den anderen lediglich eine kurze gefühlte Störung.

Um einen Menschen emotional anzusprechen, muss man wissen, welche konkreten Motive und Einstellung er hat und welche konkreten Emotionen bei ihm in seiner individuellen Situation überhaupt relevant sind. Einfach nur vermeintlich emotional zu agieren oder zu kommunizieren, indem generische Gefühle aufgerufen werden, reicht nicht. Es wird darauf ankommen, relevante Gefühle zu eruieren und gezielt in Botschaften oder mit Verhaltensweisen zu adressieren.

Das Zentrum unserer Gefühle ist das limbische System in unserem Gehirn. Hier werden unsere Emotionen verarbeitet, und hier lagern unsere mit Emotionen verknüpften Erinnerungen. Botschaften, die verbal oder non-verbal oder auf anderer sinnlicher Ebene zu uns gelangen, regen das limbische System mehr oder weniger an. Jeder von uns kennt zum Beispiel das Gefühl, das entsteht, wenn wir an den Geruch von Sonnenmilch denken. Oder die Bilder und die Erinnerungen, die in uns aufkommen, wenn wir den Geruch von Sonnenmilch wahrnehmen. Emotionen dienen somit als wichtige Gedächtnisstütze. Je emotionaler ein Ereignis war, umso besser wird es später erinnert.

Will man also Gefühle aufkommen lassen, sollte man berücksichtigen, dass Gefühle oft durch Geschichten entstehen. Geschichten, die Erinnerungen und Sehnsüchte ansprechen, die unwiderruflich in unserem Inneren verankert sind und die sofort bestimmte Bilder im Kopf oder ein bestimmtes Gefühl im Bauch erzeugen.

Eine Untersuchung aus dem Neuromarketing hat zum Beispiel gezeigt, dass Menschen allein anhand einer Geschichte ein und denselben Wein unbewusst unterschiedlich bewerten. Die emotionalere Geschichte bewirkte eine größere Reaktion im limbischen System, sodass der Wein automatisch als der „teurere“ Tropfen beurteilt wurde.

Botschaften in emotionale Geschichten zu verpacken ist für Kommunikationsprozesse im wahrsten Sinne des Wortes „sinnvoll“, wenn man sich im Vorfeld darüber im Klaren ist, elche relevanten Emotionen diese Geschichten erzeugen sollen!

4 Ratio befriedigen oder Herz beflügeln? Von derfaktischen hin zur emotionalen Kommunikation

4.1 Veränderungsprozesse – bisher eher nüchtern kommuniziert

Es hat sich schon viel verändert. Früher – und selbstverständlich sind dies nur subjektive Erfahrungen – stand die Kommunikation am Ende des Prozesses. Zunächst wurde der Veränderungsbedarf analysiert, die Veränderungsmaßnahmen erarbeitet und im Anschluss beschlossen. Während dies doch eine gehörige Zeit in Anspruch nahm, wurden die Betroffenen in weiten Teilen nicht oder nur sehr zurückhaltend mit Kommunikationsmaßnahmen behelligt. Im Anschluss erwartete man, dass das Ergebnis, was über eine lange Zeit in vielen Projektgruppen rauf- und runterdiskutiert worden ist, im Rahmen einer zweistündigen Betriebsversammlung von den Beschäftigten verstanden und vor allem auch mitgetragen werden sollte. Die Überraschung war doch teilweise groß, dass eher Widerstand und Unverständnis folgte, statt der vorausgesagten Begeisterung oder zumindest der Befürwortung.

Lerneffekt: Man fing an, früher zu kommunizieren und band die Beschäftigten schon in der Anfangsphase in den Prozess mit ein. Dieser grundsätzlich gute Ansatz bezog sich weitestgehend auf die Mitteilung von Zahlen, Daten und Fakten, in der Hoffnung, dass wenigstens durch ein Mehr an Informationen und durch frühere Information sich das gewünschte Commitment einstellen würde. Realistischer Weise wurde das Ziel der Begeisterung schon im Vorfeld aufgegeben.

An diesem Punkt stehen nach wie vor viele Veränderungsprozesse. Diese Herangehensweise hat ja durchaus auch Vorteile. Fakten sind die Grundlage für Entscheidungen – so denken wir zumindest. Auf dieser Basis lassen sich dann Maßnahmen begründen und Einsicht erzielen. Ob damit aber eine Verbundenheit und das dringend notwendige Engagement jedes einzelnen Beteiligten erzielt werden kann, ist fraglich. Ob damit wirkliche Begeisterung entfacht werden kann, ist zu bezweifeln. Auf lange Sicht werden Veränderungen nur dann auch gelebt und mitgetragen werden, wenn das Bauchgefühl stimmt und das Herz ja sagt. Jedes noch so stichhaltige Faktum wird kein subtil ungutes Bauchgefühl überstimmen können. Kurzum: Wenn die Beschäftigten Veränderungen im Unternehmen dauerhaft mittragen, motiviert an die Umsetzung gehen und auch andere von der Idee der Veränderung mit überzeugen sollen, müssen sie emotional berührt und begeistert sein.

4.2 Wie gewinnt man das Herz der Beteiligten eines Veränderungsprozesses?

Wie weiter oben ausführlich dargestellt, ist es zielführend, die Kommunikation auf die Bedürfnisse und Gefühle der Beteiligten in allen Phasen eines Prozesses auf das Herz der Belegschaft abzustimmen. Dabei kommt es zum einen auf das „Was“, also die Inhalte einer Veränderung, an. Weitaus wichtiger ist allerdings das „Wie“ der Kommunikation. Nachvollziehbar und authentisch sollte sie sein, aber vor allem die relevanten Gefühle der Beteiligten ansprechen.

Wie aber gelangt man an die relevanten Gefühle? Um diese zu erarbeiten, werden Workshops mit allen Beteiligten oder Vertretern der Beteiligten durchgeführt. Es ist wichtig, dass diese Workshops angeleitet werden; denn durch Selbstexploration und Selbstreflexion wird die Gefühlswelt der Beteiligten erarbeitet, ohne dass diese explizit nach ihren Gefühlen befragt werden. Als Ergebnis eines oder mehrerer Workshops – je nach Größe des Projektes – geht ein definierter Gefühlskomplex hervor. Dieser Prozessschritt ist deshalb von besonderer Bedeutung, da die herausgearbeiteten relevanten Gefühle ab diesem Zeitpunkt die Basis der Kommunikation im Veränderungsprozess darstellen. Sie stellen gleichsam die Anforderungen an die zukünftige Kommunikation dar.

In der Folge wird eine auf den festgelegten Gefühlskomplex abgestimmte emotionale Story formuliert oder in Form eines Filmes dargestellt. Warum ist dies wichtig? Geschichten sind – wie oben dargestellt – Ankerpunkte in unserer Gefühlswelt. Die hier entwickelte Story oder der entwickelte Film, der die Story bildlich darstellt, dient allen Beteiligten zukünftig zur Identifikation mit dem Prozess und den gesteckten Zielen. Die Geschichte ist die Basis für die Kommunikationsstrategie mit allen ihren Maßnahmen. 

Der zugrunde liegende Prozess zur beschriebenen Vorgehensweise stellt sich dann wie folgt dar:

  • Simulation & Zielformulierung
    • In welcher Situation/Phase des Entwicklungsprozesses befindet sich das Unternehmen?
    • Einzelinterviews mit den Prozessbeteiligten für Zielgruppen-Insights
    • Wer ist Befürworter, indifferent oder Ablehner?
  • Idenitfikation
    • Exploration der UR-Motive, Einstellungen und Gefühle in Workshops
    • Abgleich mit expliziten Motiven und Einstellungen
    • Definition der relevanten Emotionen
  • Transformation
    • Überführung der relevanten Gefühle in eine emotionale Story
    • Konzeption: Was kommunizieren wir und wie?
    • Botschaften, Bildwelten, Tonality
    • Maßnahmenkreation
    • Vorschlag Kanäle und Budgetierung (Wann und wo?)
  • Realisation
    • Ausarbeitung und Umsetzung der Maßnahmen
    • Ggf. Einsatz von multisensorischen Maßnahmen zur Verstärkung der Wirkung

 Wie eine Botschaft emotional aufgeladen werden kann und zwar mit Bild und Wort zeigt die nachfolgende Werbeanzeige von BMW (keine bezahlte Werbebotschaft)

Emotionale Werbung

Bitte beurteilen Sie selbst: Stehen die Fakten im Vordergrund oder die Gefühle der Begeisterung, der Freude, der Begehrlichkeit? Steht bei der Betrachtung des Motivs in Verbindung mit der außergewöhnlichen Headline nicht außer Frage, dass man tatsächlich erahnen kann, wie „Herzrasen“ und der damit verbundene Adrenalinausstoß sich anfühlt?

Kurzum: In einer Werbebotschaft ist die Relevanz von Gefühlen unbestritten. In Veränderungsprozessen, die häufig auch noch emotional bis existenziell belastend erlebt werden, sollten sie umso mehr Beachtung finden. Während in einer Werbebotschaft oft ediglich die Begehrlichkeit oder Aufmerksamkeit für ein Produkt oder eine Dienstleistung geschaffen werden soll, ist in einem Veränderungsprozess der Mensch selbst und mit ihm seine gesamte bewusste und unbewusste Gefühlswelt in den Mittelpunkt zu stellen.

In der Folge werden in einem Veränderungsprozess Kommunikationsmaßnahmen eingesetzt, die auf die relevante Gefühlswelt der Belegschaft ausgerichtet sind und für die Veränderung „werben“. Welche Kommunikationsmaßnahmen am Ende ausgewählt werden, hängt vom individuellen Veränderungsprozess und der Situation, bzw. der jeweiligen Problemstellung ab.

5. Andere Einsatzmöglichkeiten – Beispiele

Die Erkenntnisse, die dazu führen, Emotionen der Beteiligten bzw. Betroffenen viel stärker in Veränderungsprozessen und den damit verbundenen Kommunikationsmaßnahmen zu berücksichtigen, haben für uns auch darüber hinausgehende Anwendungsmöglichkeiten eröffnet.

5.1 Konflikte im Team

Ein Beispiel aus der Praxis: In einem mittelständischen Unternehmen versteht sich die Führungsmannschaft unterhalb der Geschäftsleitungsebene nicht. Vielfältige Maßnahmen sind durchgeführt worden. Einzelgespräche, Gespräche mit Beratern und Organisationsentwicklern, Workshops, Strategiediskussionen und so weiter. Im Verlauf der letzten Jahre wurden sogar Positionen neu besetzt, um das Klima, die Arbeitsweise, die Kooperation, die Verantwortungsübernahme und auch die Zielerreichung im Rahmen der Vereinbarungen mit der Geschäftsleitung zu gewährleisten. Im Ergebnis kam diese Mannschaft immer wieder an den gleichen Punkt, der sich kurz mit Psychospielen und fehlender Kooperation beschreiben lässt.

Was ist gefragt? Soll eine Darstellung der Vorteile der Kooperation dieser Führungsebene zu einer anderen Ausrichtung führen? Sollen Positionen (wieder) neu besetzt werden und wo ist die Gewähr, dass nicht die gleiche Entwicklung wieder eintritt? Ein Blick auf die Emotionslage führt zu neuen Blickwinkeln und zur Empfehlung einer anderen Vorgehensweise, mit Hilfe derer die Emotionen der Beteiligten offengelegt, ein gemeinsames Commitment und die gewünschte Kooperation erreicht werden.

Ein weiteres Beispiel: In einem Unternehmen ist ein neuer Bereich aus der Zusammenlegung von zwei Abteilungen entstanden. Die Umorganisation dauerte lange und auch nach Jahren standen die unterschiedlichen Vorgehens- und Sichtweisen in einem Wettbewerb statt die Heterogenität zum Wohle des Bereiches einzusetzen. Die betreffenden Personen lagen „über Kreuz“, die Konflikte und Diskussionen wurden als kräftezehrend beschrieben. Einige der Beschäftigten überlegten, ob sie den Bereich nicht verlassen sollten.

Nach der Erfassung der Ist-Situation, mit deren Zusammenfassung sich alle einverstanden erklären konnten, wird der Blick auf die Gefühlswelt gewandt. Die Frage steht im Raum, wie eigentlich die Zukunft emotional aussehen soll. Diese Fragestellung wird nicht explizit diskutiert, sondern aus der Beschreibung eines Bildes abgeleitet und entziffert.

Dieses gemeinsame Erlebnis hilft den Beteiligten bereits, zueinander zu finden und damit eine Gruppenidentität zu entwickeln. Die Gestaltung des Prozesses findet dann auf Basis der ermittelten Emotionen statt und sorgt für einen nachhaltigen Erfolg im Rahmen der Verbesserung der Zusammenarbeit.

5.2 Kritische Themen ins Unternehmen tragen

Es gibt Themen im Unternehmen, die einerseits wichtig sind, aber deren Bearbeitung auf der Beliebtheitsskala eher am unteren Ende angesiedelt ist. Ein solches Thema ist häufig die Arbeitssicherheit. Auf der rationalen Ebene betrachtet, müsste dieses Thema ganz oben stehen, da es sicher das Ziel eines jeden Beschäftigten ist, genauso gesund nach Hause zu gehen, wie man gekommen ist. Trotzdem ist es lästig, steht die Arbeitssicherheit in einem permanenten Konflikt zur Leistung („Betrieb geht vor“). Auch die Appelle der Unternehmensleitung und die Versicherung, dass es wirklich ernst gemeint ist und im Zweifel lieber die Maschine abzuschalten ist, helfen nicht weiter. Nach wie vor passieren vermeidbare Unfälle, mit Folgen für die Gesundheit und das Leben der Beschäftigten.

Mit Fachkräften für Arbeitssicherheit in einem technisch geprägten Unternehmen, dessen ureigene Sichtweise nicht wirklich durch eine bewusste Emotionalität geprägt ist, führen wir den oben beschriebenen Prozess durch. Im Ergebnis existiert ein mit den Beteiligten gut herausgearbeiteter Katalog an relevanten Emotionen, auf die die weitere Kommunikation abgestellt wird. Im konkreten heißt das: Statt des Fahrrad-TÜVs vor dem Werkstor (um die Beschäftigten auf die Sicherheit beim Fahrradfahren hinzuweisen) wird ein völlig anderer Maßnahmenkatalog, der auf die Emotionalität gerichtet ist, in dem Unternehmen umgesetzt. Auf diese Weise gelingt der Sprung auf eine neue kulturelle Ebene im Thema Arbeitssicherheit.

6. Und am Ende gewinnt das Herz

Neulich erläuterte in einem Workshop eine Führungskraft die Ziele eines anstehenden Veränderungsprozesses. Es geht darum, dass zukünftig mehr bereichsübergreifend und gemeinsam an Lösungen gearbeitet wird, dass neue Techniken ausprobiert werden und überhaupt mutiger neue Ideen eingebracht werden und experimentiert wird. Neue Methoden sollen für ein verändertes Bewusstsein eingesetzt, die Digitalisierung mitgedacht werden und eine neue Kultur entstehen, die Menschen begeistert und Netzwerke entstehen lässt.

Sicher ist dieses Beispiel als Herausforderung auf viele Unternehmen anwendbar. Wir sind der festen Überzeugung, dass diese Veränderungen gelingen können, wenn am Ende das Herz der Beschäftigten gewinnt und gewonnen wird.